Bouchra Ouizguen & Compagnie O

«Ha! Ha! Ha! Ha!» Bevor wir etwas sehen, hören wir es. Stossweises rhythmisches Atmen, eingebettet im schwarzen Nichts. Langsam lösen sich aus dem Dunkel weisse schattenhafte Wolken. Man glaubt, ein Negativfoto zu sehen. Sie bewegen sich auf und ab, heben sich und senken sich in tranceartigem Rhythmus. Und dann erkennen wir, die weissen Wolken sind Kopftücher und das Schwarze sind Körper. Starke Körper, die starken Frauen gehören, so genannten Aïtas, mit denen die marokkanische Choreografin Bouchra Ouizguen seit mehreren Jahren zusammenarbeitet. Sie haben alle eine über 25-jährige Karriere als traditionelle Sängerinnen hinter sich. Aïtas singen in Nachtklubs, aber auch an Familienfeiern und Hochzeiten. «Schon als Kind verehrte ich sie», sagt Ouizguen. «Bei jeder Hochzeit, auf der sie sangen, war ich dabei, so sehr man auch versuchte, mich im Haus einzusperren. Ich mochte ihre Kleidung, ihre Schminke, ihre Parfums.» Gemeinsam mit den Sängerinnen – die immer auch Tänzerinnen sind, denn Körper und Stimme gehören für sie untrennbar zusammen – hat sich Bouchra Ouizguen auf die Spuren des Wahnsinn in all seinen Formen gemacht. Sie hat in ganz Marokko, in den Städten, in der Wüste und in den Bergen die Begegnung mit Menschen gesucht, die von Sinnen sind, aus der Norm fallen und dennoch, anders als im Westen, nicht isoliert werden, sondern dazugehören: die Weisen, die Beschränkten, die Furchterregenden, die Insichgekehrten und die Missionarischen. Wie bereits bei ihren früheren Arbeiten, liess sich Ouizguen auch für «Ha!» stark von Texten inspirieren. Diesmal waren es Gedichte des persischen Sufi-Mystikers Rumi, dem Gründer des Mevlevi-Ordens der tanzenden Derwische, die sie dazu anregten, die vielgestaltige Verbindung von Tanz und Obsession zu verfolgen. «Heut ist Reigen, Tanz ist, Tanz ist, Tanz! // Licht ist heut und Glanz ist, Glanz! // Abschied von Verstand ist, vom Verstand, // weil die Liebe ganz ist, ganz ist, ganz.» Die rhythmische Wiederholung, die sich in den Gedichten Rumis zeigt, aber auch im Kreistanz der Derwische, in religiösen Wechselgesängen oder in Arbeitsliedern, und die Erlösung, Transzendenz oder auch einfach nur Erleichterung bewirken soll, ist Kernelement von Bouchra Ouizguens Arbeit «Ha!». In der reduzierten Choreografie verschmelzen Tanz, Gesang und rhythmische Sprache im Zusammenspiel mit der starken physischen Präsenz der lebenserfahrenen Frauen zu einem Ausdruck der Verrücktheit, der die heilende Kraft der Obsession spürbar werden lässt. (esc)

Choreografie  |  Bouchra Ouizguen

Tanz & Gesang  |  Kabboura Aït Ben Hmad, Fatima El Hanna, Halima Sahmoud, Fatna Ibn El Khatyb, Bouchra Ouizguen

Lichtdesign  |  Jean Gabriel Valot, Bouchra Ouizguen

Produktionsleitung  |  Fanny Virelizier

Recherche  |  Otman El Mernissi